Assassin's Creed Mirage angetestet: Ein sanfter Schub zurück in die Schatten
12.9.2023
Von Julian Benson, Autor
In Assassin's Creed Mirage haben Fehler schnell spürbare Folgen. Wenn ihr Wachen in aller Öffentlichkeit ermordet, steigt eine Art „Wanted“-Wert (auf Englisch „Notoriety“) schlagartig. Zuerst werdet ihr nur schneller erkannt und Leute, die euch sehen, machen Soldaten auf euch aufmerksam. Nach weiteren Patzern lauern dann Bogenschützen auf den Dächern entlang der Straßen, die auf euch zielen, sobald jemand Alarm schlägt. Und wenn ihr noch mehr Ärger verursacht, beginnt die Elitegarde des Kalifen, in der Stadt zu patrouillieren. Da ihr den Verborgenen angehört, macht es durchaus Sinn, dass ihr eure Morde möglichst unbemerkt ausführt.
Allerdings bin ich auch noch nicht lange Mitglied dieser verschwiegenen Gemeinschaft. Zu Beginn von Assassin's Creed Mirage ist unser Protagonist Basim nur ein Straßendieb, der unachtsamen Händlern auf dem Markt in die Taschen greift. Nachdem sie auf sein Talent, sich unauffällig zu bewegen, aufmerksam geworden sind, bringen die Verborgenen Basim zur Bergfestung Alamut und lehren ihn, sein Geschick bei Geldbeuteln auch auf Kehlen auszuweiten.
Genau wie seine Mithelden in Assassin's Creed verfolgt Basim höhere Ziele als der gemeine Durchschnittsmörder und tötet nur die Anführer und Gefolgsleute des Ordens. Diese autoritäre Organisation operiert im Dunkeln, hat sich tief in der Oberschicht von Bagdad festgesetzt und kontrolliert die Häfen, Märkte und Stadtwachen. Während die Frau auf der Straße also einen Mörder in euch sieht, benutzt ihr eure Klinge nur mit dem Ziel, die Stadt aus dem Griff des Ordens zu befreien.
Eine Rückkehr zu den Wurzeln
Ubisoft macht keinen Hehl daraus, dass Mirage eine Rückkehr zur ursprünglichen Idee der Reihe ist. Als der Publisher Assassin's Creed im Jahr 2007 veröffentlichte, war „Social Stealth“ das Schlüsselwort des Marketings. Der damalige Protagonist Altair war kein Killer, der sich in den Schatten versteckt, sondern er war ein Teil der Welt. Man bewegte sich unauffällig in Menschenmassen, pirschte sich vor den Augen aller an sein Opfer heran, platzierte ihm einen Dolch zwischen den Rippen und ergriff dann hastig die Flucht.
Seitdem sind zwölf Hauptspiele der Assassin's Creed-Reihe erschienen, von denen jedes die Idee der Reihe erweiterte. Die Entwickler fügten Schiffe hinzu, die Verwaltung einer Siedlung, ein Beutesystem, riesige Schlachten und viele weitere Features. Die Reihe wurde dabei zwar immer ambitionierter, entfernte sich aber von der ursprünglichen Idee, zu der Ubisoft nun mit Mirage zurückfinden möchte.
Ihr könnt euch wieder in der Menge verstecken und mithilfe von ähnlich gekleideten Personen an den Wachen vorbeikommen und euch euren Opfern nähern. Ihr könnt jetzt sogar Marken benutzen, um Söldner zu bezahlen, damit sie Unruhe stiften und aufmerksame Wachen ablenken. In manchen Missionen habt ihr mehrere Möglichkeiten, eure Opfer zu erreichen: Entweder bahnt ihr euch euren Weg durch eine Menschenmenge oder ihr klettert Gebäude hoch und steigt in die Privatgemächer ein. Ihr könnt es natürlich immer mit einem Frontalangriff versuchen, aber das ist nicht unbedingt im Sinne des Spiels.
Ubisoft hat den „lauten“ Weg zwar nicht abgeschafft, aber durch Aspekte wie das „Wanted“-System wird er zu einer größeren Herausforderung. Das Entwicklerstudio möchte euch behutsam dazu bringen, Assassin's Creed Mirage als das „Social Stealth“-Spiel anzugehen, dass die Reihe ursprünglich charakterisierte. Ihr habt zwar ein Schwert und einen Dolch, die ihr im Nahkampf benutzen könnt, doch wie in Assassin's Creed Valhalla regeneriert sich eure Gesundheit nicht von allein und ein längerer Kampf kann dazu führen, dass euer Lebensbalken auf Null sinkt. Ihr könnt eure Gesundheit mit Elixieren und Nahrung wiederherstellen, diese sind aber nicht so häufig zu finden, dass ihr euch auf sie verlassen könnt.
Das Kampfsystem ist direkter als in den letzten Spielen der Reihe und weicht ein wenig vom komplexen Ansatz ab, der erstmals in Assassin's Creed Origins verwendet wurde. In der Demo konnte ich in keinem Moment einem Feind den Speer, die Axt oder den Hammer entwenden. Basim bleibt offenbar bei den Waffen, die er in der Ausbildung von den Verborgenen erhalten hat: Ein Schwert, ein Messer und einen Gürtel mit Wurfmessern, Rauchbomben und Knallkörpern zur Ablenkung der Gegner.
Wenn man die rechte Schultertaste auf dem Gamepad antippt, führt Basim einen leichten Angriff aus. Wird sie gedrückt gehalten, folgt ein schwerer Angriff. Wenn der Gegner golden leuchtet, während er ausholt, könnt ihr seinen Stoß parieren. Mit einem leichten Tippen auf die linke Schultertaste lenkt ihr seinen Hieb ab und der Gegner steht eurem Konterangriff oder sogar Todesstoß ungeschützt gegenüber. Wenn der Angriff so stark ist, dass ihr ihn nicht parieren könnt, leuchtet der Gegner rot und ihr müsst eine Taste drücken, um euch außer Reichweite zu bringen. Das System ist sehr einfach und bei einzelnen Gegnern sehr effizient, aber bei mehreren Angreifern ist man damit schnell überfordert. Wieder ein sanfter Hinweis, keine Gruppen von Feinden direkt anzugreifen.
Ein nüchterner Ansatz
Mit den letzten Assassin's Creed-Spielen näherte sich die Reihe eher einem Ansatz wie bei The Witcher 3. Es gibt jede Menge Rüstungsteile und Waffen, die man überall in Kisten finden, in Läden kaufen oder in Bosskämpfen verdienen kann. In Assassin's Creed Origins, in Odyssey und selbst im abgespeckten Valhalla verbrachte man viel Zeit damit, im Inventar die Vorzüge der verschiedenen Beutestücke zu bewerten und abzuwägen, ob man die Stiefel mit den weicheren Sohlen zum Schleichen nutzen wollte oder andere, die zwar mehr Rüstung, aber weniger Tarnung boten. Dieser Ansatz gibt euch zwar die Freiheit, einen Assassinen zu erschaffen, der zu euren Stärken passt, aber er führt euch auch weiter weg von der ursprünglichen Idee der Reihe. Das Ausrüstungssystem von Assassin's Creed Mirage wurde auf das Wesentliche reduziert und führt euch zu den eigentlichen Wurzeln zurück.
Ihr könnt in Assassin's Creed Mirage verschiedene Outfits erwerben – darunter auch einige, die Ubisoft gegen echtes Geld verkauft – sie sind jedoch rein kosmetischer Natur. Ihr verbessert Basims Fähigkeiten nicht durch Ausrüstung, sondern durch die Werkzeuge, Fähigkeiten und Upgrades, die ihr im Laufe der Geschichte des Straßendiebs freischaltet. Während er die Mitglieder des Ordens, die Bagdad in ihrer Gewalt haben, enttarnt und ermordet, wird er immer stärker.
Jedes dieser Werkzeuge – Wurfmesser, Rauchbomben und Knallkörper, um nur einige zu nennen – funktioniert, sobald ihr es freischaltet, kann aber mit Materialien verbessert werden, die ihr in Truhen findet oder durch Verträge oder Taschendiebstahl erhaltet. Ihr könnt etwa die Reichweite eurer Wurfmesser erhöhen, um Wachen auch auf größere Distanz auszuschalten.
Wenn ihr Missionen abschließt, schaltet ihr auch Fähigkeitspunkte frei, die ihr in Basims Fähigkeitenbaum investieren könnt. Obwohl dies ähnlich ist wie in früheren Spielen, spricht es für sich, dass relativ wenige der Fähigkeiten euren Nahkampf verbessern. Ubisoft drängt euch eindeutig dazu, die heimliche Natur der Verborgenen anzunehmen. So gibt es eine Fähigkeit, die es euch erlaubt, zwei Morde miteinander zu verketten: Erstecht zwei Wachen, die nebeneinander stehen, oder schlitzt einer Wache die Kehle auf und werft das Messer sofort nach einer weiter entfernten Wache. Es liegt auf der Hand, dass ihr mit verbesserten Wurfmessern auch Wachen in größerer Entfernung kettenmorden könnt. So favorisiert engere Fokus auf Werkzeuge, Fähigkeiten und Verbesserungen den Stealth-Spielstil gegenüber dem weitgefächerten Ansatz der jüngsten Assassin's Creed-Titel.
Dass der Entwickler Ubisoft Bordeaux möchte, dass ihr behutsam vorgeht, zeigt sich vielleicht am deutlichsten an der neuen Fertigkeit „Assassin Focus“ (Assassinenfokus). Solange die Gegner euch nicht bemerkt haben, könnt ihr eine Reihe von Zielen markieren und dann in Zeitlupe beobachten, wie Basim sie nacheinander ausschaltet. Das ist wie eine Superkraft, die aber nur aufgeladen werden kann, indem man Gegner leise tötet.
Abgespeckt, aber nicht zu viel
Assassin's Creed Mirage verfügt zwar weder über die Vielfalt an Features noch über die Kartengröße von Valhalla und Odyssey, dennoch ist die Stadt Bagdad eine sehr belebte Metropole. Marktstände mit Lebensmitteln und Textilien säumen die Straßen, Marktschreier schreien euren jüngsten Taten in die Welt hinaus – gegen etwas Geld singen sie auch Loblieder auf euch, was euren „Wanted“-Wert senkt – und Männer und Frauen kochen und unterhalten sich an Feuerstellen. Ubisoft perfektioniert seit vielen Jahren die Kunst, belebte Städte zu erschaffen, und Bagdad ist vielleicht eine der besten davon.
Dabei gibt es auch noch mehr als man auf den ersten Blick sehen kann. Überall in der Stadt gibt es Mitglieder des Ordens, die ihr in Ermittlungsmissionen enttarnen müsst. Außerdem erwarten euch natürlich die Missionen der Haupthandlung sowie Verträge, die bereits aus früheren Assassin's Creed-Spielen bekannt sind. Mithilfe dieses Nebenmissionen-Systems könnt ihr in der ganzen Stadt in den Unterschlüpfen von Verborgenen Aufträge annehmen. Dabei geht es jedoch um mehr als nur ein weiteres Opfer zu töten. Mal begleitet ihr einen Verbündeten der Verborgenen, mal müsst ihr einen Gegenstand aus einem gut bewachten Herrenhaus stehlen. Die Verträge umfassen oft optionale Ziele, wie z. B. die Mission abzuschließen, ohne entdeckt zu werden oder jemand anderem als dem Ziel zu schaden.
Assassin's Creed Mirage ist vielleicht kein Haupttitel, sollte aber auch nicht mit einem kleinen Ableger verwechselt werden. Das Spiel ist wie ein sanfter Neustart der Reihe und zeigt, dass Ubisoft noch immer weiß, was uns 2007 in den Bann zog.
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