So lässt Half Sword blutig-brutale mittelalterliche Kämpfe realistisch wirken
Ich betrete die Arena von Half Sword kahlköpfig, nur mit einer Hose aus Sackleinen bekleidet und vor allem unbewaffnet. Mir ist bewusst, dass es um Leben und Tod geht und dass ich jetzt schon in Schwierigkeiten bin.
Jemand, der genauso aussieht wie ich, steht vielleicht sechs Meter von mir entfernt und hebt die Arme wie ein Boxer. Wir sind unbedeutend – ein paar einfache Bürger im Europa des 15. Jahrhunderts, deren Leben den meisten Historikern kaum eine Fußnote wert wäre.
Und wir wissen beide, dass nur einer von uns diesen Kampf überleben wird.
Ich drücke beide Maustasten und mein Charakter tut es meinem Gegner gleich und hebt die Arme. Langsam bewegen wir uns über den staubigen Boden in die Mitte der Arena. Er greift zuerst an – mit einem niederschmetternden rechten Haken – und die Zeit des Vorfühlens ist vorbei. Ich gerate in eine Art panische Raserei, bewege meine Maus hektisch nach links und rechts, um anzugreifen. Wenn ich Treffer lande, höre ich überzeugend dumpfe Schläge und sehe tiefrote Blutspritzer. (Zu Beginn des Spiels kann man zwischen drei Stufen der Gewaltdarstellung wählen und ich habe mich für die realistischste, blutigste Stufe entschieden.)
Anfangs gehen die meisten meiner hektischen Angriffe daneben; mein Ebenbild duckt sich einfach weg und weicht aus. Aber bald schon habe ich den Dreh raus und passe meine Schläge zeitlich so ab, dass sie seine Abwehrhaltung zuverlässig durchbrechen. Seine übel zugerichtete Wange wird erst blutrot wie frisches Fleisch vom Metzger, dann färbt sie sich purpur und mir wird klar, dass ich nicht nur kämpfe, sondern auch gewinne. Oder zumindest glaube ich das? Soweit ich weiß, könnte meine Wange genauso zerschlagen aussehen wie seine.
Ich setze weiterhin auf gnadenlose Angriffe und eine Minute später zerschmettert meine rechte Faust seinen Kiefer. Er stolpert rückwärts und ich sehe, dass sich sein Oberkörper ebenfalls purpur gefärbt hat. Während ich mich auf ihn stürze, fällt mir auf, wie sein Blut – unser Blut? – bereits den dreckigen Boden tränkt. Nach einem weiteren Hagel von Schlägen bricht mein Gegner zusammen und ich trete auf ihn ein. Mein Ebenbild stirbt im Dreck und wer weiß, vielleicht werde ich doch mit mehr als nur einer Fußnote in die Geschichtsbücher eingehen.
Mein Siegespreis ist ein weiterer Kampf in diesem brutalen Turnier, diesmal allerdings mit Waffen und mehreren Gegnern. In diesem Kampf verliere ich nach 10 Sekunden meinen Arm und bin nach 20 Sekunden tot. Ich muss noch sehr viel lernen.
Willkommen in Half Sword, einem von Half Sword Games entwickelten Simulator für hyperrealistische physikbasierte mittelalterliche Kämpfe. Die Bezeichnung „Kampfspiel“ wird ihm nicht mal ansatzweise gerecht. Um den ersten Kampf zu gewinnen, habe ich gefühlt eine Stunde gebraucht, weil ich erst einmal herausfinden musste, wie man in diesem Spiel die Fäuste hebt (vom Angreifen ganz zu schweigen). Weil das wunderbar wild und seltsam war, haben wir mit zwei Leuten aus dem Entwicklerteam – Ivan Nestorov (Creative Director/Art Director) und Frank Togonidze (Game Director) – darüber gesprochen, wie Half Sword entstanden ist und warum uns dieses einzigartige Spiel so viel abverlangen soll.
Die Geschichte von Half Sword beginnt mit Frustration und Togonidzes Interesse an Kampfsport – allerdings nicht der Sorte Kampfsport, an die ihr vermutlich denkt. Togonidze übte sich in historischen europäischen Kampfkünsten (Historical European Martial Arts, HEMA). Dabei handelt es sich um jahrhundertealte Kampfstile mit verschiedenen Waffen, von Fäusten über Dolche bis hin zu Langschwertern.
„Ich dachte darüber nach, seit ich 2016 erstmals mit [der] Unreal [Engine] experimentiert hatte“, erzählt Togonidze in unserem Interview für den Epic Games Store. „Damals praktizierte ich HEMA und war nicht zufrieden damit, wie mittelalterliche Kämpfe in Spielen dargestellt wurden. Das erste auf den Namen Half Sword getaufte Projekt wurde im Winter 2019–2020 erschaffen. Es war das erste und einzige Werk in dem Portfolio, mit dem ich mich für die Ausbildung zum Game Designer bewarb. Während meiner zweijährigen Ausbildung überarbeitete ich das Projekt mehrmals, aber die Grundidee blieb immer dieselbe: ein Spiel, das sich um mittelalterliche Kämpfe dreht und in dem man seine Waffen tatsächlich frei kontrollieren kann.“
Er suchte nach einem Videospiel, in dem das Kämpfen ebenso ernst genommen wurde wie in seinem Privatleben, und musste es schließlich selbst erschaffen. Half Sword befindet sich an der Schnittstelle zwischen historischer Genauigkeit und Simulation; es soll eine detailreiche, realistische Darstellung mittelalterlicher Kämpfe sein.
„Am Ende machte ich die vollständige Physiksimulation zur Hauptmechanik“, erzählt Togonidze. „Videos von aktiven Ragdoll-Charakteren, die einander mit Schwertern malträtierten, erregten auf Twitter und Reddit zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Aus dem Studienprojekt wurde etwas noch Echteres.“
Togonidze studierte in Japan, während die Idee für Half Sword Gestalt annahm, und als er in sein osteuropäisches Heimatland Georgien zurückkehrte, gründete er ein Unternehmen, um das Spiel zu entwickeln.
„Ich will stolz darauf sein, zu einem der wenigen georgischen Entwicklerstudios zu gehören“, sagt er lächelnd, „also betone ich das an dieser Stelle noch mal.“
Die Grundidee stand fest, das dazu passende Unternehmen war gegründet. Jetzt galt es, ein Team für die Arbeit an dem Aussehen und Kampfsystem des Spiels zusammenzustellen. Ivan Nestorov, der Art Director/Creative Director von Half Sword, wurde Teil dieses Teams, als „alle visuellen Aspekte [noch] sehr rudimentär waren.“
Nestorov erzählt: „Ich sah diese seltsamen gelben Puppen, die Frank als Prototypen verwendete, um die Mechaniken zu zeigen, an denen er damals in Japan gearbeitet hatte. Und ich wusste einfach, dass ich unbedingt an so einem Spiel arbeiten will. Es sah irgendwie charmant und intuitiv aus, also konnte ich nicht widerstehen: Ich musste mich [bei Frank] melden und bei dem mitmischen, was ich da sah.“
Eines ihrer ersten gemeinsamen Projekte bestand darin, historisch exakte Waffen ins Spiel zu bringen und mit dem vorhandenen Kampfsystem auszuprobieren.
„Ich hatte ein paar Helme aus dem späten 15. Jahrhundert auf meiner Festplatte, die ich Frank gleich zu Beginn schickte“, sagt Nestorov. „Er sorgte dafür, dass man eine Klinge durch die Sehschlitze des Helms rammen kann, und wir wussten, dass das eine ziemlich coole Grundlage sein könnte.“
Nestorov zufolge führt die Kombination aus historisch exakten Rüstungen und Togonidzes physikbasiertem Kampfsystem dazu, dass das Spiel noch realistischer wirkt.
„Es war sehr spannend, diese historisch genaue Herangehensweise an das Spiel noch weiter zu verfolgen – mit komplexen Kämpfen, in denen echte historische Waffen und Rüstungen zum Einsatz kommen. So zeigen wir, wie echte historische Rüstungen gegen Schwerter, Streitkolben und so weiter bestehen können”, so Nestorov. „Uns wurde klar, dass wir keine Fantasy-Elemente brauchen, um das Spiel spannend zu machen. Historisch exakte mittelalterliche Ausrüstung funktioniert einfach, und dank des physikbasierten Kampfsystems können wir zeigen, wie sie einen schützt – und Gegner, die sie tragen, sogar noch einschüchternder macht.“
Im Lauf der nächsten paar Jahre wuchs das Entwicklerstudio und zog Talente aus Argentinien, Indien, Schweden, den Niederlanden und dem US-Staat Georgia an. Nestorov sagt, dass alle Teammitglieder eigenständig arbeiten und kein Tag dem anderen gleicht.
Mein erster erfolgreicher Faustkampf war eine besonders handgreifliche Erfahrung, die einem in gewisser Weise die Grundlagen der Charaktersteuerung beibringen soll. Anfangs überlebte ich, indem ich einfach nur wild drauflos schlug, aber um zu gewinnen, musste ich dazulernen und meine Angriffe präziser ausführen. Sobald Waffen und Rüstungen ins Spiel kommen, wird es noch viel komplizierter.
„In unserem Fall stellen die Mechaniken und das Physiksystem die Kernelemente dar. Damit erreichen wir drei Dinge: Es fühlt sich gut an, es funktioniert und es macht Spaß (finden wir zumindest)“, sagt Nestorov lächelnd. „Ich glaube, bei mir machte es klick, als wir in den frühen Versionen zunehmend mehr Rüstungen ins Spiel brachten. Es macht einfach klick (oder vielleicht eher ein anderes Geräusch?), wenn man einen ungepanzerten Gegner zerstückelt. Aber sobald die Gegner auch Rüstungen tragen, wird das mit dem Zerstückeln etwas schwieriger, sodass man strategisch vorgehen muss, statt einfach nur wild mit der Waffe um sich zu schlagen. Und das Gefühl, wenn man eine komplette Rüstung trägt – die Geräusche, die Spiegelungen – und auf die eigenen Fähigkeiten und diese Rüstung vertraut, um allen zu zeigen, dass man es ernst meint ... Dieses Gefühl ist unbezahlbar.“
In Half Sword gibt es weder eine besondere Handlung noch ein Ende. Es ist ein realistisch simuliertes Turnier und dreht sich nur um mittelalterliche Kämpfe. Wer siegt, kommt weiter. Und wer siegen will, sollte sich gut überlegen, welche Rüstung er mit welchen schweren oder leichten Waffen kombiniert.
„Die Idee dahinter ist, dass man als Spieler in das im späten 15. Jahrhundert angesiedelte Kampfgeschehen eintauchen kann – mit Ausrüstung, die möglichst historisch genau ist“, erklärt Nestorov. „Die Kleidung, Rüstungen, Waffen und Umgebungen im Spiel schicken einen 600 Jahre in der Zeit zurück, damit man mittelalterliche Kämpfe erleben kann. Beim Zusammenstellen eines Builds wird man nur dadurch eingeschränkt, welche Stellung man in der Gesellschaft hat und was man sich leisten kann.“
Half Sword verlangt jenen, die es spielen wollen, ziemlich viel ab – und das soll auch so sein. Nestorov beschreibt das Spielerlebnis als „experimentell für den Spieler“, weil sich jede Form von „Hilfestellung irgendwie falsch anfühlt“.
„Das Spielerlebnis fußt darauf, dass man durch Praxis dazulernt“, sagt er. „Genau wie bei echten Kampfkünsten braucht man Zeit und Übung, um die Kämpfe im Spiel zu meistern – und besonders viel Zeit, um perfekt zu werden. Aber das gehört zur Reise dazu.“
Ihr könnt die Demo von Half Sword noch heute im Epic Games Store herunterladen und die Vollversion von Half Sword auf eure Wunschliste setzen.