Wie das Summer Game Fest zur neuen E3 wird
Alles begann mit einem Augenzwinkern.
Anscheinend ohne jeden Bezug erschien das zwinkernde, gelbe Smiley-Symbol am 31. März um 14:31 Uhr (Ortszeit] auf Geoff Keighleys Twitter-Zeitleiste und löste eine Lawine kostenloser Publicity aus.
Trotz fehlender Bezugnahme war er eine klare Reaktion auf die Nachricht, die gerade einmal sechs Minuten zuvor verkündet worden war: die E3 2022 wurde abgesagt.
Keighley, Veranstalter und Gründer der renommierten, jährlich im Winter stattfindenden Game Awards und des Summer Game Fest, bestätigte damit mehr oder weniger, dass seine Sommerfeier für Videospiele erneut stattfinden würde – mit einem zufriedenen Nicken und virtuellem Augenzwinkern.
Etwa 20 Minuten später erschien auf Twitter die offizielle Bestätigung. Das Summer Game Fest, eine Veranstaltung, auf der die gesamte Videospielbranche vertreten ist, sollte diesen Juni zurückkommen.
Viele waren davon überrascht, dass die E3 2022 abgesagt wurde, Keighley jedoch nicht. Er hatte schon auf die Meldung gewartet und hielt ein Emoji bereit, das mehr als 15.000 Likes und fast 2.000 Retweets einbrachte. (Und das außerdem eine Unterhaltung mit annähernd 1.000 Antworten anstieß.)
„Was soll ich sagen, wir sprechen mit denselben Leuten und wissen, was bei den Spieleunternehmen und -Publishern vor sich geht“, sagte Keighley unlängst in einem Interview. „Ich habe mit ESA (Veranstalter der E3) die Möglichkeiten der E3 dieses Jahr ausgelotet. Nach der Pandemie jetzt wieder eine Präsenzmesse durchzuführen, ist ein schwieriges Unterfangen.
Letztes Jahr wurde eine digitale E3 veranstaltet. Das hätte man wieder tun können, aber ich glaube, dass wir ein tolles Summer Game Fest abgeliefert haben, dass für viele Leute in der Branche sehr gut funktioniert hat. Daher war ich nicht sonderlich überrascht, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass man dort mit dem richtigen Elan an die Sache heranging. Manchmal ist es besser, etwas nicht zu tun, als etwas Suboptimales zu liefern“.
Die Anfänge des Summer Game Fest
Das Summer Game Fest geht in sein drittes Jahr. Aber Keighleys Bemühungen, eine branchenweites Videospielevent im Sommer zu veranstalten, hatten bereits Jahre zuvor ihren Anfang genommen.
Keighley verbindet eine lange Geschichte mit E3, nicht nur als überschwänglicher Teilnehmer, sondern auch als Moderator verschiedener Streams und TV-Sendungen rund um diese Veranstaltung. 2017 wurde diese Verbindung formalisiert und er begann, das „E3 Coliseum“ zu moderieren, eine live im Internet übertragene Interview- und Diskussionsshow, die während der E3 vor Live-Publikum stattfand.
Aber im Jahr 2020 gab Keighley bekannt, dass er die „schwierige Entscheidung“ getroffen habe, „die Produktion des E3 Coliseum abzulehnen“.
Nachdem er der E3 öffentlich den Rücken gekehrt hatte, war er seinen eigenen Worten nach nicht sicher, was er als Nächstes tun würde. Er zog sogar in Erwägung, einfach eine Auszeit zu nehmen und den Sommer in Europa zu verbringen. Ein seltsames Gefühl, so Keighley, nachdem er 25 Jahre lang Stammgast der E3 gewesen war.
„Ich fragte mich, ob es sonderbar wäre, wenn ich auf der E3 erschiene. Oder ob ich sie komplett ignorieren sollte. Es war wie die unangenehme Zeit nach einer Trennung. Und während ich noch mit mir rang, brach die Pandemie aus, und die E3 wurde abgesagt.“
Es dauerte jedoch nicht lange, da gingen Spieleunternehmen auf Keighley zu und fragten ihn, ob er sich nicht etwas ausdenken könnte, um diese unvorhergesehene Lücke zu füllen.
„Die Pandemie war unheimlich. Es gab keine Impfstoffe, gleichzeitig erschienen aber im selben Jahr eine neue Xbox und eine neue PlayStation. Für die Spielebranche war es also ein ganz entscheidendes Jahr.“
Die Wahl Keighleys als Veranstalter einer in letzter Minute ins Leben gerufenen Ersatzveranstaltung für die E3 lag auf der Hand, da er über weitreichende Kontakte in der Branche und ausgiebige Erfahrung mit der E3 verfügte und außerdem den allwinterlichen Erfolg bei der Veranstaltung der Game Awards vorweisen konnte.
Das alles habe zur Entstehung des Summer Game Fest geführt, so Keighley.
Das Summer Game Fest 2020 und was danach geschah
Das im ersten Jahr gerade noch rechtzeitig zusammengewürfelte Summer Game Fest dauerte schließlich vier Monate, von Mai bis August. Es gab Live-Streams, Ankündigungen, Enthüllungen in Bezug auf die Unreal Engine 5 sowie große Events von PlayStation und Microsoft. Die Veranstaltung schlug hohe Wellen, was allerdings nur durch viel Innovation und harte Arbeit hinter den Kulissen möglich war.
Keighley musste schnell lernen, von zuhause aus qualitativ hochwertige Videos live an ein globales Publikum zu streamen. Das war etwas völlig anderes als seine üblichen Veranstaltungen mit einer Menge Ausrüstung, professionellen Kameras und rund 50 Mitarbeitern.
„Irgendwie mussten wir das alles, so gut es ging, zusammenimprovisieren“, sagt er. „Die erste praktische Vorführung des Dual Sense, des Controllers der PlayStation 5, wurde in einem unbenutzten Zimmer bei mir zuhause aufgenommen. In dem Jahr lief wirklich alles, als ob wir das Flugzeug erst in der Luft zusammenschrauben. Aber dabei haben wir auch viel gelernt.“
Im Feedback zum ersten Jahr ging es vor allem um die fehlende Organisation und wie lange sich alles hinzog.
„Das Schwierigste bei neuen Projekten während der Pandemie ist, dass man keine idealen Testbedingungen dafür hat. Teilweise erinnern sich die Leute nur noch daran: Es dauerte vier Monate und war zeitlich extrem gestreut. Kein Unternehmen wusste so recht, wie man digitale Videos oder Events machte. Alle arbeiteten von zuhause aus. Xbox veranstaltete ein Event im Juli, PlayStation eins im Juni, und alles war sehr weit verteilt. Es war also im Grunde eine großes Lernprojekt, das einen ganzen Sommer dauerte.“
Letztes Jahr hatte das Team dann zum Start des Summer Game Fest eine Liveshow und auch ein Studio für die Moderation. Außerdem wurde das Festival auf den Juni beschränkt.
„Alles war zusammenhängender und kompakter.“
Im zweiten Jahr fand die Show langsam ihre eigene Identität, im Prinzip so wie die Game Awards, aber ohne die Preisverleihung. Dass die beiden Shows fast genau sechs Monate auseinanderliegen, signalisiert ebenfalls, dass sie zusammengehören.
„Bei den Game Awards wird immer diskutiert, welchen Raum die Preisverleihungen einnehmen sollten. Wie viele Premieren sollte es geben? Wie wird das ausbalanciert?“, erläutert Keighley. „Beim Summer Game Fest stehen allein Nachrichten und Ankündigungen zu Spielen im Mittelpunkt. Man weiß genau, was einen erwartet.“
Summer Game Fest 2022
Nach den Worten Keighleys wird das diesjährige Summer Game Fest noch kompakter sein. Das zentrale Event beginnt am 9. Juni um 20:00 Uhr MESZ und läuft bis zum 12. Juni.
Natürlich wird es einige wichtige Übertragungen von Entwicklern und Publishern geben.
„Ich glaube, dass alles ganz kompakt und in wenigen Wochen ablaufen wird, denn die Branche hat sich den Juni für ihre Präsentationen ausgesucht und alle haben Events geplant. Die überwiegende Mehrheit hätte wohl lieber zwei oder drei vollgepackte Tage oder etwas in der Art. Aber das lässt sich kaum bewerkstelligen, da viele Unternehmen einen ganzen Tag für sich beanspruchen wollen. Daher weiß ich nicht, ob wir jemals wieder eine Veranstaltung nach dem alten Muster, mit wenigen vollgepackten Tagen, erleben werden.“
Keighley kündigt an, dass dieses Jahr weniger Unternehmen mit eigenständigen Events auftreten würden und viele Studios und Publisher stattdessen an Erstanbieter-Veranstaltungen teilnähmen, so wie früher auf der E3.
Während des Summer Game Fest wird es nach den Pressekonferenzen Gesprächsrunden geben, in denen die großen Neuigkeiten des jeweiligen Streams besprochen werden.
Keighley fügt hinzu, dass sich das neue Tempo und die Menge der Ankündigungen wohl nicht darauf zurückführen lassen, dass es sich um ein rein digitales Event handelt, sondern dass sich die Branche selbst verändert.
„Die Unternehmen verfolgen heutzutage einen anderen Ansatz“, sagt er. „Sie sehen sich eher als Anbieter von Live-Service-Spielen. Wenn ich die Branche insgesamt betrachte, habe ich den Eindruck, dass die aufregendsten Titel von vielen unabhängigen Studios oder wagnisfinanzierten Firmen und nicht so sehr von den großen, traditionellen Publishern kommen.“
Eine weitere große Neuerung des diesjährigen Summer Game Fest sind die zusätzlichen Live-Events in Kanada, den USA und Großbritannien.
„Auf diese Weise können sich die Leute die Messe zusammen mit ihren Freunden ansehen und genießen“, sagt er. „Damit werden Zehntausende Nutzer beim Summer Game Fest dabei sein, ohne dass sie dafür um die halbe Welt fliegen oder durch das ganze Land reisen müssen. Im Prinzip dezentralisieren wir es und bringen es zu ihnen.“
Keighley ist sich auch bewusst, was es bedeutet, zumindest in diesem Jahr die E3 zu ersetzen. Dem Team ist beispielsweise wichtig, dass es bei der Veranstaltung nicht nur um die Entwickler aus der westlichen Welt geht.
„Es gibt weltweit so viele tolle unabhängige Entwickler“, sagt er. „Es war wirklich interessant, mit einigen von ihnen zu plaudern. Auch in der Ukraine gibt es viele Teams, die Spiele entwickeln. Da sie wegen des Krieges das Land verlassen müssen, können sie nicht einmal ihre Trailer fertigstellen. Das ist knallharte Realität. Was in der Welt geschieht, hat auch direkten Einfluss auf die Entwicklung von Spielen. Meiner Meinung nach haben wir genau diesen Aspekt auf interessante Weise in unsere Veranstaltung einbezogen. Es wird um den globalen Stand der Spieleentwicklung gehen und darum, wer die Leute sind, die diese Spiele machen.
Wir versuchen ausdrücklich, eine möglichst globale Vision der Spieleentwickler zu präsentieren.“
Die Zukunft von Videospielmessen
Da Videospielmessen auch in diesem Jahr fast ausschließlich virtuell stattfinden, haben wir Keighley gefragt, ob er digitale Events für das Modell der Zukunft hält oder ob er denkt, dass es irgendwann wieder traditionelle Messen geben wird.
„Ich habe immer gesagt, dass unsere Messe vor allem ein digitales Event ist, aber es wird auch einige Präsenzveranstaltungen geben“, sagt er. „Auch in diesem Jahr wollen wir einige Medienvertreter und Influencer aus dem Großraum Los Angeles einladen, damit sie einige der Spiele persönlich ausprobieren können. Dies wird jedoch eher im kleinen Kreis stattfinden, nicht als große, öffentliche Veranstaltung. Auf jeden Fall sind verschiedene physische Beiträge in Vorbereitung, zum Beispiel die IMAX-Vorführung bei der diesjährigen Messe. Es wird also mehr davon geben, aber wohl nicht so wie früher, wir werden sicher kein Kongresszentrum anmieten und 20.000 Leute einladen, die Schlange stehen, um ein Videospiel auszuprobieren. Dieses Modell scheint mir überholt zu sein. Wir sollten dennoch darüber nachdenken, wie wir die Dinge, die wir tun, physisch umsetzen und die Community auf eine wirklich interessante Weise zusammenbringen können.“