Bei den Virtual Photography Awards sorgt eine neue Kunstform erneut für Furore
Die Virtual Photography Awards sind ein internationaler Wettbewerb für Fotos aus Videospielen unter der Leitung von Mik Bromley, der sich nach einer wissenschaftlichen Karriere der virtuellen Fotografie zugewendet hat.
Bromley verfolgt den wachsenden Erfolg sowohl dieser Kunstform als auch der Awards seit der ersten Ausgabe im Jahr 2020. Aufgrund des COVID-Lockdowns waren Fotografen damals in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und virtuelle Spielwelten boten eine willkommene Ausweichmöglichkeit. Im vergangenen Jahr trafen wir uns mit Bromley zu einem Gespräch über die Awards 2023. Diesmal plaudert Bromley erneut mit uns über die Virtual Photography Awards 2024, bei denen über 2.600 Beiträge von einer Expertenjury aus Fotografen und Branchenvertretern wie Bungie, Remedy und Sucker Punch bewertet wurden.
Bei den ersten Virtual Photography Awards beeindruckte oft schon eine einfache Dokumentierung: ein Screenshot eines faszinierenden Panoramas, das von Leveldesignern sorgfältig in Szene gesetzt wurde, oder eine geschickte Großaufnahme eines brutalen Nahkampfangriffs. Nach nur wenigen Jahren bieten Fotomodi heute weitaus mehr Möglichkeiten und auch ihre Benutzer haben extrem dazugelernt. Bei den Ergebnissen handelt es sich nicht mehr um Screenshots, sondern sie sind tatsächlich digitale Kunst.
„Die Tools sind wesentlich fortschrittlicher, aber auch der kreative Anspruch hat sich weiterentwickelt“, sagt Bromley. „Die Spieler erschaffen ihre eigene Vision und nutzen das Spiel eher als Mittel zum Zweck, anstatt es mithilfe der Bilder selbst darzustellen.“
Viele der diesjährigen Gewinner des Wettbewerbs verwendeten dazu Titel, die im Epic Games Store verfügbar sind und für diese spannende junge Kunstform neu interpretiert wurden. Wir haben Bromley gebeten, uns als Experte zu erklären, was diese Fotos so wirkungsvoll macht, und uns einige Tricks zu verraten, mit denen ihr eure eigenen preisverdächtigen Schnappschüsse machen könnt.
Beste Umgebung
Im letzten Juni ergänzte Alan Wake 2 eine der visuell eindrucksvollsten (und – wichtig für Fotografen – am besten beleuchteten) Umgebungen der Gaming-Welt um einen Fotomodus. Das Warten hat sich gelohnt – zur Einführung erklärte Bromley, wie ihr mit dem virtuellen Kameraobjektiv von Remedy die besten Ergebnisse erzielt. Es ist daher auch keine große Überraschung, dass der Gewinner in der Kategorie „Best Environment“, eine Aufnahme von Yuuri Momma, aus dem surrealen Horror-Meisterwerk stammt. Sie fängt die gespenstische Trostlosigkeit der verlassenen Version von New York City ein, in der der Titelheld Alan Wake gefangen ist.
Die niedrige, aufwärts gerichtete Kamera betont die erdrückende Höhe der Gebäude. Mit einem Blick von einer mit Zeitungsresten übersäten Straße in den nebelverhangenen Himmel vermittelt der Schauplatz die grenzenlose Machtlosigkeit dieses Ortes. Bromley merkt an, dass neben konventionellen Techniken wie der Verkehrsampel, die den Blick nach oben lenken, auch ein spezielles Attribut der Spielefotografie das überwältigende Gefühl von Höhe erzeugt.
„Eine interessanter Aspekt bei der Fotografie in Videospielen ist, wie man mit dem 9:16-Seitenverhältnis zurechtkommt. In der realen Fotografie ist 16:9 kein übliches Format, erst recht nicht als 9:16, wenn man die Kamera um 90 Grad dreht“, sagt Bromley und erläutert, dass 4:3 selbst bei der Fotografie mit Mobiltelefonen als Standard gilt.
Er fährt fort: „Das Seitenverhältnis 9:16 existiert vor allem deshalb [in Videospielen], weil es die übliche Bildschirmgröße ist. Viele verwenden es einfach deshalb, weil es das Standardformat ist, aber bei der Bildkomposition ist es weniger hilfreich, da es sehr viel überflüssigen Platz enthält. Dieses Bild nutzt das Format 9:16 sehr effizient, denn die gesamte Höhe spielt hier eine wichtige Rolle.“
Kreativität
Seit der Veröffentlichung von Cyberpunk 2077 – und insbesondere seit dem Update 2.0 mit weitreichenden Verbesserungen bei Texturen, der Beleuchtung und den Charaktermodellen – ist Night City ein beliebter Spielplatz für angehende Fotografen. Aber in einer Kategorie, die dazu ermuntern will, über leichte Nachbearbeitung hinauszugehen und digitale Kunst zu schaffen, steht die nächtliche Stadt bei dieser Aufnahme nicht im Mittelpunkt.
Jenny Karlssons Pop-Art-Werk zeigt zwei übereinanderliegende Fotos desselben Charakters mit sich überschneidenden Farbfiltern. Auch wenn das Foto, wie Bromley sagt, einfach aussieht und die eingeschränkte Farbpalette an den Effekt einer 3D-Brille erinnert, enthält es eine subtile Tiefe: Die beiden Posen verschmelzen zwei sehr unterschiedliche emotionale Stimmungen.
Die Arme der Person mit ihrer mehrdeutigen Haltung hinter dem Rücken sind ein wesentlicher Bestandteil des Fotos und verleihen der Figur eine verhaltene, aber deutlich wahrnehmbare Note. Im Spiel kommt diese Pose allerdings nicht vor. Viele Spieler entwickeln jetzt mithilfe von Mods eine wertvolle neue Fähigkeit: Sie manipulieren das Charakter-Rigging, um die Körperhaltungen zu verändern und neue Szenen zu schaffen.
Dabei handelt es sich um eine uralte Tradition, wie Bromley erklärt – Screenshot-Kunst gibt es praktisch schon so lange wie Videospiele selbst, zumindest auf der Rückseite von Spielverpackungen und in Zeitschriftenwerbung. Bis heute greifen professionelle Screenshot-Künstler auf Tools der Spielengine zurück, um optisch ansprechende, maßgeschneiderte Aufnahmen zu erstellen. Mit Mods können Spieler das auch.
Porträts
Die Schwarz-Weiß-Nahaufnahme einer Frau, die Augen angstvoll aufgerissen, das Gesicht halb von der Dunkelheit verschluckt. Die Figur könnte beliebig sein – vielleicht ein Charakter mit niedriger Lebenserwartung aus Until Dawn?
Tatsächlich zeigt Jeremy Harrisons Beitrag Mary Jane Watson aus Marvel's Spider-Man 2, wobei ihr wichtigstes optisches Merkmal – ihr leuchtend rotes Haar – dem Farbfilter zum Opfer fiel.
Anfangs war Bromley von diesem Porträts nicht sonderlich beeindruckt und weist darauf hin, dass das erweiterte Seitenverhältnis die Aufmerksamkeit vom Gesicht des Motivs ablenkt. Ein gutes Porträt lebt nicht nur von seinen Details, vor allem da die grafische Qualität immer weiter zunimmt. Der Anblick dieses Fotos gefiel ihm nicht. MJs Gesichtsausdruck wirkte beunruhigend – und das war schließlich ein Grund für den durchschlagenden Erfolg des Fotos.
„Ein wichtiger Aspekt bei einem Porträt ist, dass es den Betrachter anspricht, dass er sich in die Situation des Fotografen versetzt oder dass das Gesicht ihm ein Gefühl vermittelt. Ich finde den Anblick nicht angenehm, sondern eher unbehaglich – aber ich vermute, das liegt daran, dass man ihr Unbehagen spürt.“
Sammlungen und Allgemein
Nach einem Gespräch mit dem International Center of Photography wurde für dieses Jahr eine neue Kategorie eingeführt: Best Collection. Bromley zeigte dem Center eine Auswahl der besten Wettbewerbsbeiträge, aber es war nicht beeindruckt. Wie Bromley schnell hinzufügt, lag dies nicht daran, dass das New York Institute die Stärken des Mediums nicht anerkennt. Wie sich herausstellte, wollte es mehr sehen.
„Er sagte: ‚Einzelbilder beeindrucken mich nicht‘“, erklärt Bromley. „Er sagte, jeder könnte eine gute Aufnahme machen, das wäre nicht beeindruckend. Im Hinblick auf das künstlerische Niveau interessierten ihn Arbeiten in einem größeren Umfang, die einen persönlichen Stil verraten oder eine Erzählung beinhalten. Hierzu soll die Kategorie ‚Collection‘ auffordern.“ Bromley war von der Anzahl der Reaktionen und der Kreativität der Beiträge begeistert, was bedeutet, dass diese Kategorie auch im nächsten Jahr wieder mit dabei sein wird.
Der erste Gewinner in dieser neuen Kategorie stammte von Jonathan (ein Nachname war nicht angegeben) und war ein echter Publikumsliebling, der uns in Marvel's Spider-Man: Miles Morales zurück nach New York mitnahm. Die Serie von Architekturaufnahmen in Schwarz-Weiß könnte gut die Wände eines New Yorker Cafés oder die edlen Seiten eines Bildbandes zieren. Die markanten eckigen Schatten auf dem dritten Foto würden sogar zu einem Filmplakat für einen Noir-Klassiker wie Der dritte Mann passen!
Jonathans Fotoserie erweckt den Eindruck, als müsste man Szenarien nur in Graustufen konvertieren, damit Spielumgebungen auf magische Weise fotorealistisch wirken. Natürlich ist das nicht der Fall, wie Bromley schnell hinzufügt: Komposition, die Wahl des Motivs und ein Bewusstsein für die ursprünglichen Farben und den Kontrast sind entscheidend.
„Nicht jedes Bild wirkt in Schwarz-Weiß“, sagt er. „Wenn man ein Foto mit zu vielen Farben in Schwarz-Weiß umwandelt, erhält man oft nur eine Menge Grau. Definition ist wichtig. Jonathan nutzte den Himmel als hellen Hintergrund und hat dann Schwarz-Weiß über vermutlich ziemlich langweilige Farben gelegt. Wahrscheinlich würden dieselben Bilder als Farbfotos wesentlich weniger beeindrucken, weil das Schwarz-Weiß die Details des Gebäudes hervorhebt und den Kontrast statt der Farben in den Vordergrund stellt. Um ein Bild zu Schwarz-Weiß zu konvertieren, reicht es nicht, einfach eine Taste zu drücken.“
Für alle, die mit Schwarz-Weiß-Fotografie experimentieren wollen, hat Bromley folgenden Tipp: Fotomodusfilter im Spiel seien zwar effektiv, aber die besten Ergebnisse erziele man, wenn man hinterher mit Helligkeit und Belichtungsstufen experimentiert, um Details zu bewahren und das Gleichgewicht zwischen hell und dunkel zu schaffen, damit das Bild hervorsticht. Und ein ganz wichtiger Schritt: Überprüft, ob ein Bild, das auf einem hellen Monitor oder Fernseher angezeigt wird, auch anderswo wie erwartet dargestellt wird.
Allen, die daran interessiert sind, ihre eigene Sammlung für den Wettbewerb im Jahr 2025 zu erstellen, rät Bromley vor allem zu Geduld und Flexibilität. Sucht euch eine Idee, ein Motiv, ein Bild, schaut, wohin es euch führt, und kehrt dann im Lauf der Zeit immer wieder dahin zurück – erwartet nicht, sofort die perfekte Aufnahmeserie zu finden. Aber wenn ihr hartnäckig seid, werdet ihr sie finden. Wie das schwer zu beeindruckende International Center of Photography sagt, kann jeder ein fantastisches Foto machen. Schießt los und macht selbst eins, vielleicht nachdem ihr weitere von Bromleys Experten-Foto-Tipps gelesen habt.
Und wenn ihr eine Aufnahme gefunden habt, die euch gefällt – vielleicht nachdem ihr Zeit in den üppigen Welten von Red Dead Redemption 2, Horizon Forbidden West oder Star Wars Outlaws verbracht habt – dann überlegt euch, sie für die diesjährigen Virtual Photography Awards einzusenden!